Musik und Engagement. Klaus Huber zum 100. Eine Kolumne von Kaspar Geiger

Sonntag Matinee am 22.Sept., an dem Tag, an dem in Brandenburg die Wahlen über die Bühne gehen. Noch wissen wir nichts über den Ausgang der Wahlen. «Deutschland wieder den Deutschen», was für Töne. Klaus Huber warnte schon vor 40 Jahren eindringlich vor der Gefahr rechter Parteien.  Was hätte der Komponist zeitgenössischer Musik, Klaus Huber, zur Improvisation des Jazzpianisten Laurent Nicoud gesagt, mit der die Matinee ihren Anfang nimmt?  Hätte er überhaupt etwas dazu gesagt, war er doch der Meinung, dass Musik jenseits des Sagbaren liegt? Die Tochter Maria Magdalena richtet sich mit einem Geburtstagsbrief an ihren Vater. Alte Musik und die kleinen Kinder: beide tragen Wahrheit in sich, in der Alten Musik genauso wie in den kleinen Kindern findet sich das, worauf es ankommt: die Konzentration auf das Wesentliche.  Die innere Umkehr wäre so wichtig, gerade weil alles so weitergeht, wie es nicht weitergehen kann, mahnte der Komponist in seinen Texten. Dort, wo konkretes Handeln nötig ist, dorthin, nach Bolivien, führte Maria Magdalena Moser’s Weg, wo sie ein Projekt für bolivianische Hausangestellte gründete, das den Vater sehr berührte, und selber dabei gleichzeitig der Musik treu blieb. Musik und Engagement, so der von ihr gewählte Titel der Veranstaltung an diesem Sonntagvormittag vor einem interessierten, offenen Publikum.  Es folgt die Komposition Klaus Hubers «Plainte. Lieber spaltet mein Herz» für Flöte und Cello aus dem Jahr 1990, ungemein minutiös und sensibel gespielt von den beiden Mitgliedern des auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensembles Alternance aus Paris, Jean-Luc Menet und Fredérice Baldassare.  Aus einer kaum fassbaren Ferne nähert sich uns das Stück, holt uns ein, lässt uns frei, lässt uns eintauchen in uns selbst. Innerlichkeit, die beim Publikum zur Verinnerlichung einlädt. 

Neue Frage: Urangst und Zeitangst verdrängen? Die Antwort: Auch wenn es uns gut geht, der Blick auf Ungerechtigkeit und Gewalt, auf alle Formen der Ausbeutung und Zerstörung darf nicht fehlen. Die Kunst hilft uns dabei, auszuhalten, was wir sehen, das Bewusstsein zu erweitern und bereitet zugleich den Boden zur Reflexion. Aus Kritischem Bewusstsein entstanden und entstehen die unterschiedlichsten solidarischen Bewegungen. Ermutigung: Wenden wir den Blick nicht ab und halten wir das aus, was ist und uns bedroht. In der Musik steckt eine Kraft, die hilft und uns ermächtigt, uns zu beteiligen, uns einzusetzen für gerechte und menschenwürdige Verhältnisse, wo auch immer. Musik führt uns an die Quelle dessen, was in uns an Bewegungen, Tönen, Sprüngen, Wendungen und Abbrüchen schlummert. 

Eine nächste Komposition von Klaus Huber aus dem Jahr 1972: «Ein Hauch von Unzeit». Beim Zuhören erlebt man hautnah Klaus Hubers Verständnis von Musik: sie ist existentiell, notwendig und gelichzeitig der Zugang zum Prinzip Hoffnung. Musik pure, losgelöst von allem, war für Klaus Huber nie eine Möglichkeit, wobei das Musizieren und Komponieren für ihn immer ein offenes Suchen nach Schönheit war, ohne genau sagen zu können, was schön ist. Schönheit entwickelt sich immer aus Arbeit und kommt aus der Tiefe. Komponieren geht nicht einher mit Bequemlichkeit. Kunst geht nur zusammen mit Leidensfähigkeit und ist immer auch eine Reaktion auf das, was sich an Grausamkeit und Zerstörung in der Gesellschaft abspielt. 

Dann eine Komposition aus dem Jahr 1976: »Transpositio ad infinitum». Rhythmen in kleineren und überraschenden Sprüngen, Gestrichenes, Abruptes und dann wieder einzelne feine Töne, alles in einem grossen Bogen, zusammengehalten aus einer Hand, die sich zurückhält und zugleich mitteilt. Die etwas laut vibrierende Vitrine mit gekühlten Getränken im Raum nebenan summt mit, stört nicht im Geringsten. Zum Schluss noch eine Bitte aus dem Mund des Komponisten:  liebe Komponistinnen und Komponisten, schreibt lieber weniger. Tiefere Kunst ist bessere und schönere Kunst und Eintauchen in die Tiefe ist nur zweckfrei möglich. Demut ist Voraussetzung für den Abstieg in die eigene Tiefe. Das Umfassende liegt im Inneren eines jeden Menschen, meist verschlossen. Aber der Mensch hat ein Potential zur Entgrenzung, zur Entschlüsselung. Die Musik ist ein Weg dazu, genauso wie die Meditation. Innerlichkeit als Ausweg, als Flucht aus dem, was bedroht, aber als Weg zu umgedrehtem, zu gewendetem Handeln. Hinwendung zur eigenen Tiefe verbunden immer mit dem Blick auf die Welt, verstanden als ein Versuch, engagiert und solidarisch zu handeln. So einfach und so kompliziert zugleich. Und da taucht es wieder auf, das Motiv vom Anfang: Der Aufruf zum Widerstand. Wir sind in der Lage uns zu widersetzen allem, was mit Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung zu tun hat. Klaus Huber appelliert an die Ästhetik des Widerstandes von Peter Weiss. Zum Schluss dieser anregenden und von Maria Magdalena Moser mit viel Umsicht vorgetragenen Lesung in der Matinée hören wir nochmals hinein in ein Zitat von Klaus Huber: «Das Gewissen einer Gegenwart besteht aus dem Gewissen jener, die nicht bereit sind, aufzugeben.» Allem Unbill zum Trotz.

Eine Improvisation auf dem Flügel als Antwort, eine vorsichtige, kühne, leise und heftige Annäherung an das Gehörte, als ob der Jubilar in die Vernehmbarkeit einbezogen werden möchte. Ein letzter Ton, unerwartet und aus der luftigen Tiefe gezaubert. Laurent Nicoud wie er leibt und lebt. Grossartig.

3.10.24 Kaspar Geiger

Informationen zu weiteren Veranstaltungen zum 100. Jubiläum auf der Seite von Klaus Huber